Dienstag, 8. Februar 2011

Ende der Abstinenz (Konzertbericht The Vaselines)


„People don’t have sex in Scotland“ – Man nimmt es ihnen fast ab, den unscheinbaren Schotten in ihren Mittvierzigern dort auf der Bühne im gut gefüllten Berliner Comet Club. Sie im biederen 50er Jahre Hausfrauen-Look, er mit spärlicher, ergrauter Kopfbehaarung und fein gebügeltem Oberhemd. Die Vermutung, dass es sich bei diesen Beiden um promiske Rock’n’Roll Stars handelt, läge bei einer Begegnung auf offener Straße zumindest fern. Doch Frances McKee und Eugene Kelly haben es faustdick hinter den Ohren – und schämen sich nicht darüber zu singen und zu flachsen.

Ende der 80er Jahre brachte das Songwriter-Duo unter dem Namen The Vaselines einige mäßig erfolgreiche Singles heraus. Der große Durchbruch gelang ihnen nicht, was zum einen daran liegen könnte, dass ihr Sound sich nicht sonderlich vom sonstigen schrammelig-verzerrten britischen Untergrund-Rock der Zeit absetzte. Zum anderen könnte man meinen, dass sich womöglich nur wenige die Mühe machten, hinter dem ganzen Lärm die kesse, ironische Wortgewandtheit der zwei, die vor keinem Tabu Halt machte, zu entziffern. Kurz nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums Dum-Dum löste sich die Band auf und verschwand zunächst von der Bildfläche. Wenig später gelangten sie allerdings unverhofft ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit, als Nirvana-Frontmann Kurt Cobain McKee und Kelly zu seinen Lieblings-Songwritern erklärte und mit seiner Band einige ihrer Lieder neu interpretierte (darunter auch „Molly’s Lips“ und „Jesus Wants Me for a Sunbeam“). Dieser Ritterschlag bescherte den Vaselines so etwas wie einen Kult-Status in der Indie-Szene und lange wurde auf eine Wiedervereinigung der Band gehofft. Im September des vergangenen Jahres war es dann endlich so weit: Mit Sex With an X kam 20 Jahre nach Dum-Dum das Nachfolgewerk heraus und nun rocken Eugene und Frances wieder die Bühnen dieser Welt.


Dass das Duo noch immer kein Blatt vor den Mund nimmt, wird schnell klar. Auf einen wenig spektakulären Auftakt („It Wasn’t All Duran Duran“) folgt sogleich eines ihrer suggestivsten Lieder. Im Chorus von „Monsterpussy“ kann noch so viel miaut werden – von einer Katze handelt der Song dadurch trotzdem nicht zwangsläufig. Im folgenden Set beeindruckt vor allem die hohe Hit-Dichte der Band, die sich auch Nummern wie „Teenage Superstars“ und „Sex Sux“ gar nicht lange aufsparen muss, sondern früh zum Einsatz bringt, um der Menge einzuheizen. Musikalisch bewegt sich das Ganze stets in einem überschaubaren Rahmen. Viele Akkorde sind für den Vaseline’schen Punk’n’Roll nicht notwendig. Da wirken Bassist Bobby Kildea und Lead-Gitarrist Stevie Jackson, die, genauso wie der Drummer Michael McGaughrin zur Unterstützung des Duos mit von der Partie sind, zum Teil etwas unterfordert. Kildea und Jackson sind eigentlich Mitglieder der ebenfalls aus Schottland stammenden Twee-Pop Gruppe Belle & Sebastian, deren Songs sich in der Regel durch ein höheres Maß an Komplexität auszeichnen. Das von kurzen, schnellen, eingängigen Tracks dominierte Set erhält allerdings durch längere Instrumental-Passagen, bei denen Francis und Jackson ihr Gitarrenspiel zur Schau stellen, sowie durch einige ruhigere Nummern wie „The Devil’s Inside Me“ und eine gefühlvolle Version von „Jesus Wants Me for a Sunbeam“ auch ein willkommenes Maß an Abwechslung. Für „Molly’s Lips“ gesellt sich dann noch das sympathische Duo Schwervon mit auf die Bühne. Die zwei lieferten als Vorband die musikalische Einleitung des Abends und übernehmen für den Song die höchst anspruchsvolle Aufgabe, im Chorus mit einer Tröte für zusätzliche Sound-Effekte zu sorgen.


Etwas eintöniger kommen dagegen die Ansagen der Sänger zwischen den Liedern daher, die nahezu ausschließlich um „das Eine“ kreisen: Der angebliche 20. Jahrestag ihrer ersten gemeinsamen Nacht, fragwürdige Spielzeuge, von denen die Beiden zum ersten Mal auf ihrer Deutschland-Tour erfahren haben, und die Behauptung, dass jeder ihrer Songs von „premature ejaculation“ handelt.  Besonders viel zu sagen haben Eugene und Frances anscheinend nicht. Dennoch nimmt man ihnen die ständigen Witzeleien nicht übel, da sie stets mit der nötigen Selbstironie verharmlost werden. Es wirkt glaubwürdig und unprätentiös, dass den Beiden ihr jugendlicher Humor nach all den Jahren nicht abhanden gekommen ist.


Im Anschluss an das vorläufig letzte Lied, das energiegeladene „Lovecraft“, folgt tosender Applaus. Man merkt, dass heute Abend viele Erwartungen übertroffen wurden. Qualitäts-Garantien gab es nach 20 Jahren musikalischer Abstinenz schließlich nicht. Für die Zugabe fährt die Band dann noch einmal ein paar schwere Geschütze auf: das kreischende, Synth-artige Riff von „You Think You’re a Man“ büßt in der Live-Version ohne Keyboard nichts von seiner Power ein und „Son of a Gun“ setzt einen wilden, punkigen Schlusspunkt. Am Ende lassen sich unter den Zuschauern im Comet Club viele fröhliche Gesichter ausmachen. Die Kunst der musikalischen Verführung haben die Vaselines eben noch nicht verlernt.


Recommended Recordings:
Dum-Dum (1989) [Album]
The Way of The Vaselines: A Complete History (1992) [Compilation]
Sex With an X (2010) [Album]

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